Zugegeben: „Psychogramm“ klingt etwas dramatisch. Aber oft bekommt der Lektor – am Ende der Produktion – den gesamten Termindruck des Projekts ab. Also lautet das erste Gebot, auch und gerade unter Zeitdruck: Kühlen Kopf bewahren.

Leichter gesagt als getan. Denn kurz vor oder während des Lektorats tauchen gerne Situationen auf, die Nerven kosten. Sie werfen die Fragen auf,

  • welchen Prüfkriterien in welcher Projektphase ein besonderes Augenmerk gewidmet sein sollte,
  • was und wie sich etwas „effizient“ anmerken lässt.

Hier einige Erfahrungen, mit denen Sie den kleinen Aufregern im Alltag entgehen:

  • Schnellschüsse? Je heißer die Nadel ist, mit der ein Dokument gestrickt wurde, und je energischer der Redakteur auf die Erledigung drängt, umso höher ist erfahrungsgemäß gerade dann die Fehlerquote. Hier dürfen Sie sich nicht unter Druck setzen lassen! Bestehen Sie auf Sorgfalt und einen ausreichenden Zeitraum für die Prüfung. Notfalls sprechen Sie konkret (schriftlich) ab, was zu prüfen ist – und was eben nicht. Ein gutes Lektorat ist eben zum richtigen Zeitpunkt pragmatisch.
    Wie im letzten Blogbeitrag erwähnt: Ein Tippfehler fällt zwar rasch auf und ist sofort als Qualitätsmangel erkennbar; aber seine Auswirkung hinsichtlich Verständnis oder korrekter Anleitung ist in den meisten Fällen – gelinde gesagt – überschaubar. Fahren Sie alle Antennen aus! „Quick and dirty“ ist im Lektorat tabu.
  • Systematische Korrekturen: In Katalogen und Technischen Dokumentationen sind einheitliche Muster und Formulierungen oft Pflicht. Das heißt: Taucht in Standard-Schreibweisen ein Fehler auf, wird er sich mit großer Wahrscheinlichkeit sehr oft wiederholen. Hier sollten Sie Zeit und Nerven sparen: Spätestens beim dritten oder vierten Vorkommen stoppen Sie zunächst die Gesamtprüfung. Prüfen Sie nun das gesamte Dokument per „Diagonalblick“ oder per digitaler Textsuche, ob diese falsche Schreibweise oft auftaucht. Falls ja, vermerken Sie diesen Fehler EINMAL zu Beginn des Dokuments oder auf einem separaten Blatt. Der Redakteur hat später die Aufgabe, durch Suchen und Ersetzen diese Fehler aufzuspüren und zu korrigieren. Das ist allemal schneller und zuverlässiger als alle Vorkommen einzeln anzustreichen!
  • Plötzlich fällt ein Fehler auf, von dem Sie sich nicht sicher sind, ob Sie ihn auf den Seiten zuvor bereits bemerkt haben. Bevor Sie in hektisches „Nachlesen“ verfallen: Nutzen Sie die Volltextsuche (mit der falschen Schreibweise)!
  • Wie sieht eigentlich Ihr persönlicher Tagesrhythmus/Biorhythmus aus? Wann sind Sie besonders konzentriert? Zu welcher Zeit schleicht sich eine Schwächephase ein? Wann immer Sie die Möglichkeit haben, Lektoratsaufgaben zu planen oder zu delegieren: Nutzen Sie von vorneherein diese persönliche Erfahrung dazu, sich an „guten“ Tageszeiten besonders anspruchsvollen Aufgaben zuzuwenden. In den schwächeren Phasen arbeiten Sie eben (einfachere) Routineaufgaben ab.
  • Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn ein Dokument sehr gut ist! Klingt das komisch für Sie? Nun ja: Bei einem wenig erfahrenen Lektor kann das tatsächlich Unsicherheit auslösen. Schließlich ist das Finden von Fehlern ja seine Aufgabe; und ihr Fehlen könnte seine Existenzberechtigung anzweifeln. „Ist das Dokument wirklich so gut – oder habe ich heute einfach nur einen schlechten Tag?“ Lassen Sie sich nicht verleiten, sich aus Mangel an klaren Fehlern in unbedeutende und zweifelhafte Kleinigkeiten zu vergraben!
  • Und tatsächlich: Auch mal Lob verteilen! Seine eigenen Fehler, oft mit einer generellen Kritik, erhält der Redakteur regelmäßig vorgehalten. Was spricht gegen dosierte Randbemerkungen wie z. B. „Gut!“, um wirklich gelungene Passagen zu kennzeichnen? Auch daraus kann der Redakteur Gewinn ziehen.
  • Vergessen Sie nicht, von Zeit zu Zeit Feedback einzuholen.

Und falls doch mal wieder ein Fehler „durchrutscht“, über den man sich ärgert? Vielleicht tröstet Sie ja folgende Definition der Qualität der Lektoratsarbeit:

Ein Lektor ist dann (sehr) gut, wenn die Menge und die Qualität der Fehler, die er findet, in einem (sehr) guten Verhältnis zu dem stehen, was er übersieht.