Es hat bei mir relativ lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass Titel für Abbildungen in der Technischen Dokumentation meist unnötiger Ballast sind. Ich war zu stark geprägt von den Lehrbüchern, die brav jede Abbildung mit einem Titel versehen.

Eine Erweckungsgeschichte

Über Konventionen

Es ist im Buchdruck üblich, den Abbildungstitel als Unterschrift zu setzen. Gewöhnlich wird dazu eine kleinere Schrift als für den Fließtext verwendet. Man will den Abbildungstitel optisch vom Fließtext abheben.

Ich nahm bei einer Besprechung meiner Elektrotechnik-Diplomarbeit einen Hinweis meines Professors zum Layout ohne größeres Nachdenken hin. Er fragte, warum ich die Abbildungsunterschriften mit einer so kleinen Schrift setze. Er sagte, wenn sie wichtig wären, sei es doch Blödsinn, sie so klein zu drucken.

Eigentlich hätte ich bemerken müssen, dass etwas mit dieser Konvention nicht stimmt. Aber ich erhöhte murrend die Schriftgröße der Abbildungsunterschriften und schüttelte den Kopf über den Willen meines Professors.

Konventionen prägen, Verstehen braucht Zeit. Oft Jahre.

Widersprüche

Als Redakteur habe ich mit meinem Lektor Kämpfe um die Abbildungstitel für handlungsorientierte Grafiken ausgefochten.

Laut Leitfaden sollten Abbildungstitel nicht im Infinitiv, also nicht handlungsauffordernd, formuliert werden. Dies stand alleine den Handlungszielen und Handlungsaufforderungen zu.

Aber wie soll man die Abbildung zum Handlungsschritt „Walze anhängen“, die zeigt, wie die Walze angehängt wird, anders betiteln? Als faulen Kompromiss wählte ich den Abbildungstitel „Anhängen der Walze“.

Bruch mit den Konventionen

Dass Abbildungstitel in Handlungsschritten überflüssig sind, dämmerte mir so langsam. Aber nach weiteren Erfahrungen wurde mir klar, dass Abbildungstitel in Handlungsschritten keine Funktion haben.

Die langsame Erleuchtung

Zunächst hielt ich Abbildungstitel in beschreibenden Texten für unverzichtbar. Zu stark wog das Argument: Wie will ich einen Querverweis auf eine Abbildung machen?
Ein Kunde erklärte mir: „Ich erkläre alles Wesentliche im Kontext der Abbildung, deshalb verweise ich nicht auf Abbildungen. Und falls ich sie doch noch einmal an einer anderen Stelle benötige, füge ich die Abbildung dort nochmals ein.“

Diese Erklärung hielt ich zwar für eine schlüssige Begründung, weshalb er keine Abbildungstitel einsetzt. Aber ich hatte noch nicht wirklich verstanden, warum derart strukturierte Texte besser sind – besser als Texte, die zusammengehörende Informationen auseinander reißen und verstreut als Brösel darbieten.

Erst als ich wieder als Redakteur gearbeitet und viele Texte gegliedert habe, ist mir aufgefallen, dass ich bei Abschnittsüberschriften und Abbildungstiteln denselben Text verwende. Auch andere Redakteure haben sich beklagt, dass sie dieselbe Überschrift doppelt vergeben müssen.

Ein Blick in andere Dokus ergibt dasselbe Bild: sehr oft wird die Überschrift wiederholt. Und bei 95 von 100 Fällen, in denen es nicht zutrifft, wäre es besser gewesen, so zu verfahren.

Gute Struktur

Im Blogbeitrag zum Mythos „Automatischer Seitenumbruch taugt nichts“ gebe ich vier Hinweise, wie beschreibende Texte besser gegliedert werden können:

  1. Abbildungen an den Anfang eines Abschnitts stellen
  2. Nichts zwischen Abschnittsüberschrift und Abbildung setzen
  3. Die Abschnittsüberschrift so formulieren, dass sie die Abbildung erklärt
  4. Alle Erklärungen zur Abbildung hinter die Abbildung setzen

Dann übernimmt die Abschnittsüberschrift auch die Funktion des Abbildungstitels. Ein zusätzlicher Abbildungstitel müsste den Inhalt der Abschnittsüberschrift wiederholen und wäre somit redundant, also nutzlos.

Dies gilt auch für Tabellentitel.

Fazit

Wenn ich die Abbildungen im Kontext platziere und den Text gut strukturiere, haben Abbildungs- und Tabellentitel keine Funktion mehr und sind somit unnützer Ballast.